Meistern der alltäglichen Komplexität

Managers Wunschtraum war und ist, sein Unternehmen steuern zu können wie eine Maschine. Daher spricht man von »Erfolgs-Steuerung«, von »Unternehmens-Steuerung«. Und meint, mit einer Aktion (einem Ziel, einer Organisationsveränderung, einem Projekt, ...) steuernd ins System eingreifen zu können, und damit ein vorhersagbares Ergebnis, einen vorhersagbaren Erfolg auszulösen. Das funktioniert aber nicht!

Immer wieder wurde versprochen, dass der Erfolg gar nicht verhindert werden könne, folgte man nur diesem Erfolgsrezept, realisierte man nur jenen Management-Ansatz.

Nicht dass auch nur eines dieser Konzepte falsch wäre. Nein, die Suche des Heils in nur einem der Konzepte dürfte ein, vielleicht der Quell unserer aktuellen globalen wie lokalen Misere des Managements sein. Man wollte Organisation, erntete aber Bürokratie!

Doch anstatt die Denkgrundlage zu ändern, verstärkt man die Anstrengungen, investiert in Prozesse und bekannte Tools. So kommt es, dass man heute in vielen Unternehmen über unglaublich viele Detailinformationen verfügt, aber dennoch immer wieder »überrascht« wird: von Entwicklungen, Verlusten und dergleichen mehr. Nicht wenige Manager und Unternehmer klagen, dass die Dinge außer Kontrolle geraten sind. Dass man den Überblick verloren hat und nicht wirklich einen Ausweg aus der Sackgasse weiß.

Vielleicht braucht es eben doch einen Wandel der Paradigmen, der Denkgrundlagen? Vielleicht ist es an der Zeit, sich vom maschinellen Unternehmensbild zu lösen, und es zu ersetzen? Durch das Bild eines lebenden Organismus, der seiner ganz eigenen Logik folgt: Der komplexer Systeme!

Was Komplexität ausmacht

Komplexe Systeme und Situationen zeichnen sich durch einige Eigenschaften aus, die allen Systemen dieser Art zueigen sind:

  • Komplexe Situationen haben mehr und vernetzte Elemente, als mit herkömmlichen Methoden und Ansätzen erklärt und beherrscht werden können.
  • Das Beziehungsgefüge ist weder als Ganzes noch in seinen Einzelheiten voll erfaßbar. Das heisst die ablaufenden Prozesse sind nicht fest bestimmbar, ihre Ergebnisse nicht präzise vorhersagbar. Das System ist nicht determiniert.
  • Es gibt keine kausale Ursache-Wirkungskette. Stattdessen ein Netz von Ursachen und Wirkungen mit einer elementaren Verbindungslogik, aber keiner Determiniertheit.
  • Typisch für komplexe Phänomene ist nicht Kontinuität, sondern Diskontinuität.
  • Komplexität ist eine Systemeigenschaft. Nämlich die Eigenschaft, in kurzer Zeit unterschiedliche Zustände einnehmen zu können.
  • Die Wirkungsverläufe komplexer Systeme sind oft zirkulär, d.h. sie haben keinen klaren Anfang und auch kein klares Ende.

Schwachstellen im Umgang mit Komplexität

Schwachstelle 1:

Eine begrenzte Wahrnehmungsfähigkeit. Jeder Mensch hat seine eigene Wirklichkeit. Diese individuelle »Wirklichkeit« ist aber nur ein Ausschnitt der Realität. 

Schwachstelle 2:

Ein zu starkes Bedürfnis nach Sicherheit. Die Vorstellung, dass jedes Problem auf eine einzige Ursache zurückzuführen sein muss, sodass es auch eine einzige Lösung geben muss. Daraus resultiert Schwarzweiss-Denken (entweder/oder, richtig/falsch, schuldig/unschuldig), das ein trügerisches Gefühl höchster Klarheit und damit Sicherheit vermittelt. Das Unbekannte wird auf Bekanntes zurückgeführt, frei nach dem Motto 'Irgendeine Erklärung ist besser als gar keine'. 

Schwachstelle 3:

Die Kombination aus beidem. Man nimmt bevorzugt das wahr, was man wahrnehmen möchte. Was nicht eindeutig wahrgenommen werden kann, wird als weniger wichtig eingestuft. 
Das operative Tagesgeschäft bekommt die Priorität vor zukunftssichernden strategischen Auseinandersetzungen. Man zögert mit der Einleitung zukunftssichernder Aktivitäten und wartet stattdessen, bis verläßlichere Informationen vorliegen. Es wird nur akzeptiert, was zahlenmäßig belegbar ist. 

Definition der Schwachstellen frei nach Hanns Hub 'Ganzheitliches Denken im Management', Gabler Verlag Wiesbaden 1994

Sozio-Psychologische Einflussfaktoren

Ein weiterer beachtlicher Fehler beim Umgang mit komplexen Situationen ist die Missachtung der sozio-psychologischen Einflussfaktoren.

Immer wenn Menschen zusammenarbeiten um Probleme zu lösen oder Konzeptionen zu erarbeiten, spielt sich auf vier Ebenen gleichzeitig etwas ab:

Im Allgemeinen wird im Management nur die sachlogische Ebene beachtet. Man schenkt dem Thema und seiner logisch-plausiblen Bearbeitung (entsprechend dem Sachverständigen-Know How) die volle Aufmerksamkeit. Allenfalls wird noch über das Prozedere diskutiert, die Vorgehensweise, und damit über methodische Aspekte. Verhaltens- und Beziehungsaspekte bleiben meist unbeachtet. Ja, man spricht ihnen sogar das Wesen von Logik ab. Stattdessen rückt man sie in den Bereich der nicht greifbaren, nicht beweisbaren und daher auch nicht wirklich bedeutsamen »Phänomene« ab. Phänomene, die in einer betriebswirtschaftlich und technisch orientierten Welt der wissenschaftlichen Betriebsführung nichts zu suchen haben.

Man hält viel von rationaler Logik, der sich die Psychologik usw. unterzuordnen haben. Ein typischer Satz lautet in diesem Zusammenhang: „Wir wollen doch sachlich bleiben!". Die Betroffenen tun also so, als ob Probleme mit rein rationaler Logik zu lösen seien. Selbst dann, wenn sie auf der Verhaltens- oder Beziehungsebene verursacht sind. Sobald der Mensch als Faktor ins Spiel kommt, regiert aber nicht nur die rationale, sondern auch die nicht-rationale Psycho- und SozioLogik. Diese Form der Logik kann aber nicht in gleicher deterministischer Weise beeinflusst werden wie Maschinen und andere technische Systeme. Schlimmer noch: Psycho- und SozioLogik steuern unter Umständen die rationale Sach-Logik, nicht umgekehrt! 

Ungebremstes Wachstum bedeutet in der Natur den Tod

Wenn Sie die anfangs beschriebene globale Wirtschaftskrise bitte nochmals bedenken und überlegen, wie wir uns als Wirtschaftsführer aufführen, müsste ein weiterer, eklatanter Fehler erkennbar werden: Der Verlust der Zweckbeziehung zum Umsystem.Denn Unternehmen werden gegründet, um einen erkannten Bedarf zu befriedigen.

Doch anders als in den biologischen Systemen der Natur - die wohl als das komplexeste uns bekannte System bezeichnet werden darf - produzieren Unternehmen immer weiter, planen auch dann noch Umsatzwachstum, wenn der Bedarf nicht wächst oder gar befriedigt ist.

Ein Beispiel: Unsere Körperzellen können mehrere Aufgaben erfüllen, um dem Gesamtsystem zu dienen - beispielsweise um eine Wunde zu schließen. Ist die Wunde geschlossen, hört das Zellwachstum auf. Würde das Wachstum nicht gestoppt, entstünde eine Wucherung. Auch bekannt als: Krebs!

Die Zelle, die sich so verhält, sich vom Umsystem entkoppelt und sich ihre eigenen Wachstumsziele gibt, nennen wir bösartig. Doch im ökonomischen System »Wirtschaft« verhalten wir uns mit unseren Unternehmen genau so wie eine Krebszelle. Wir verlieren den Kontakt zu unserem Ursprungszweck, geben uns unsere eigenen Wachstumsziele, und setzen alle verfügbaren Energien und Mittel dazu ein, sie gegen jeden Widerstand (auch der sogenannten Kunden) zu realisieren. Wir kämpfen gegen die Kräfte des Marktes, anstatt sie aufzunehmen und für uns zu nutzen.

Eine Logik des Misslingens

Ein Unternehmen besitzt also umso mehr Überlebensfähigkeit, je mehr es nach den Prinzipien biologischer Systeme verändert wird. Biologische Lebewesen haben die Fähigkeit, unter sich permanent ändernden Rahmenbedingungen zu überleben. Unternehmen zielen auf Gewinn, auch wenn das auf Ausbeutung hinausläuft.

Viele Berater und Manager versuchen, Unternehmen nach den Prinzipien von Maschinen, von beherrschbaren Systemen zu steuern. Zentrale Steuerung und vorgegebene Prozesse sind solche Prinzipien. Höhere Lebewesen realisieren begrenzte Autonomie und Systemvernetzung im Sinne wechselseitiger Einwirkungen.

Unsere wirtschaftliche Wirklichkeit zeigt gerade jetzt, dass besonders in kritischen Phasen - wenn die Überlebensfähigkeit am meisten benötigt wird - zu Massnahmen gegriffen wird, die den Spielraum der einzelnen Abteilungen und Mitarbeiter einengen, um eine straffe, zentrale Steuerung zu bewirken.

Fünf Hauptursachen der Logik des Misslingens

Dietrich Dörner hat verschiedene politische, wirtschaftliche und technische Katastrophen untersucht und seine Erkenntnisse in dem Buch «Die Logik des Misslingens» beschrieben. Als Hauptursachen für Ereignisse, die später als Katastrophen bezeichnet werden, hat er folgende Muster erkannt:

  1. Die Tendenz zur Überdosierung von Maßnahmen unter Zeitdruck: "Anstatt die Auswirkungen einer Maßnahme abzuwarten und zu analysieren, werden in rascher Folge weitere Maßnahmen getroffen, die zum 'über das Ziel hinausschießen' führen".
     
  2. Die Unfähigkeit zum nichtlinearen Denken in Kausalnetzen statt in Kausalketten. Also die Unfähigkeit, Neben- und Fernwirkungen des eigenen Verhaltens richtig in Rechnung zu stellen.
     
  3. Die Unterschätzung exponentieller Abläufe. Das ist die Unfähigkeit zu sehen, daß ein exponentiell ablaufender Prozeß langsam beginnt, dann aber ab einem bestimmten Zeitpunkt mit explosionsartig zunehmender Beschleunigung abläuft.
     
  4. Die Tendenz von Fachleuten sich selbst zu bestätigen, und Kritik in der Gruppe implizit durch Konformitätsdruck zu unterbinden. Dörner bezeichnet das auch als die «tödliche Folge von Routine».
     
  5. Systematisches, wiederholtes Übergehen von Sicherheitsvorschriften aus Selbstüberschätzung.

Aus Dietrich Dörner: Die Logik des Mißlingens S. 54-56; Rowohlt Verlag ISBN 3 498 01260 6)

Komplexe Situationen verlangen also primär ein spezifisches Grundverständnis, und erst in zweiter Linie entsprechende Methoden und Instrumente. Der kybernetische Manager steuert nicht, er regelt! Seine Methodik besteht aus einem Bündel von Vorgehensweisen und Instrumenten, die in einer elementaren, aber nicht determinierten Verbindungslogik zueinander stehen.

Komplexitätsmanagement ist somit keine bestimmte Fähigkeit, sondern ein ganzes Bündel von Fähigkeiten.

Meine Logik des Gelingens 

In vernetzten Systemen sind die Beziehungen zwischen den Elementen wichtiger als die Elemente selbst. Es gilt die grundlegenden Muster zu erfassen, nicht das System in allen seinen Details! Aus dieser Erkenntnis resultiert ein Umgang mit Komplexität durch ganzheitliches, vernetztes Denken.

Ganzheitlich:

Betrachtung ohne Vollständigkeitsanspruch. 

Vernetzt:

Betrachtung der Faktoren (Systemelemente) als Geflecht elementarer, jedoch nicht determinierbarer Verbindungslogiken. Es wird nicht nach »der richtigen Organisation« gesucht, sondern die Organisation in ihrer Wechselbeziehung zu allen anderen Systemelementen (Personal, Produkte, Klima, etc.) betrachtet.

Dazu werden jedoch spezifische Denkgrundlagen benötigt, in Form eines besseren Grundverständnisses für komplexe Situationen.

So gilt es beispielsweise, Vertreter unterschiedlicher Interessenbereiche einbeziehen, um die begrenzte Wahrnehmung zu erweitern und deren Grenzen zu sprengen. Berücksichtigen Sie nicht nur rationale (sach- und metho-logische) Aspekte, sondern auch die sozio-psychologischen Einflussfaktoren und Wirkungen. Machen Sie sich die eigenen Denkgrundlagen bewußt. Rücken Sie den Änderungsbedarf ins Bewusstsein, und verankern Sie entsprechend andere bzw. neue Paradigmen im Bewusstsein aller Beteiligten. Es gibt keine absolute Wirklichkeit. Deshalb ist es zielführender sich »ein Bild« machen, anstatt sich in (ohnehin nicht zu leistendenden) Analyse-Tiefen zu verlieren. Gehen Sie in die Vogelperspektive, und erschaffen Sie sich ein realitätsnahes Modell Ihrer »Wirklichkeit«. Nicht das Detail (=das einzelne Element) ist wichtig. Wichtiger sind die Beziehungen und Verknüpfungen zwischen den Elementen.

Zeichnet sich ein erstes Bild ab, greifen Sie nicht gleich massiv in das System ein. Setzen Sie stattdessen Impulse, und beobachten Sie, wie das System darauf reagiert. Insbesondere in exponentiell anlaufende Prozesse gilt es nur sehr sanft eingreifen. Ansonsten übersteuern Sie das System, und es gerät außer Kontrolle.

Ansatzpunkte zur Beeinflussung von Handlungen

Sie haben vier Ansätze, die Handlungen der am Prozess Beteiligten zu beeinflussen:

Ansatz 1:

Direkte Beeinflussung der Handlung. Direkt, schnell.
Aber: Aufwendig, braucht Kontrolle. 

Ansatz 2:

Bei der Entscheidung dabei sein. Sicher, direkt.
Aber: Aufwendig, braucht Ausführungskontrolle. 

Ansatz 3:

Direkter Einfluss auf die Motivation. Falls überhaupt möglich, braucht das viel Vertrauen, weckt schnell Skepsis bzw. Mißtrauen. 

Ansatz 4:

Bewusstein beeinflussen. Was mir bewußt ist, kann auch dem anderen Menschen bewusst gemacht werden. Ich spreche mit ihm darüber und vertraue darauf, dass er dieselbe Notwendigkeit zur Handlung erkennt wie ich. Er gewinnt Motivation, etwas zu tun, sucht nach Entscheidungsalternativen, wählt eine erfolgsversprechende Alternative aus, und handelt entsprechend. 

Ansatz 1 und 2 entsprechen eher dem Denken der Macher, und damit dem direktiven Management. Ansatz 3 entspricht vielleicht am ehesten der Milieuforschung. Am vielversprechendsten ist jedoch Ansatz 4. Er entspricht dem non-direktiven Komplexitäts-Management.Diese Vorgehensweise entspricht jedoch am wenigsten üblichem Management-Denken, und setzt einen grundlegenden Paradigmen-Wechsel in der Personalführung voraus.

Grundlegende Paradigmen für den Umgang mit Komplexität

Unsicherheit ist ein Grundphänomen der Wirklichkeit, und als solches zu akzeptieren!

Der Überblick ist wichtiger als das Detail! 

Regeln statt Steuern! 

Bedarfsorientierung tritt anstelle von Gewinnmaximierung! 

Nutzenwachstum statt Mengenwachstum! 

Anpassungsfähigkeit statt Größe!

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